Ein internationales Paläontologenteam fand einige guterhaltene Panzer und den ersten Kiefer von Stupendemys geographicus, einer Art Süßwasserschildkröte. Diese lebte in Südamerika vor 5 bis 10 Mio. Jahren, im Zeitalter des Miozän. Die Fossilien werfen ein neues Licht auf die Biologie, damalige Verbreitung und Abstammung der Riesenschildkröte.
“Seit dem Aussterben der Dinosaurier beherbergten die Tropen des nördlichen Südamerika heute ausgestorbene Wirbeltiere, die innerhalb ihrer Gruppen die extrem größten Abmessungen hatten,” so Teamleiter Dr. Marcelo Sánchez, Direktor des Paläontologischen Instituts und Museums an der Universität von Zürich, und seine Kollegen.
“Unter ihnen finden wir die größten Schlangen, kaimanartigen Krokodile, Gaviale und einige der größten Nagetiere.”
“Eine der ikonischsten Arten ist die Riesenschildkröte Stupendemys geographicus, weil sie die größte nicht-marine Wasserschildkröte ist, die jemals mit einem kompletten Panzer bekannt wurde.”
“Stupendemys geographicus wurde 1976 zum ersten Mal in der Urumaco-Formation in Nordwest-Venezuela beschrieben, aber unsere bisheriges Wissen über dies Tier basierte auf Teilexemplaren. Das Resultat war eine problematische Taxonomie, besonders aufgrund des Fehlens von Exemplaren mit zugehörigen Schädeln und Schalenelementen.”
Dr. Sánchez and seine Co-Autoren ergruben und untersuchten neue Exemplare von Stupendemys geographicus sowohl in der Urumaco-Region Venezuelas und in der La Tatacoa -Wüste in Kolumbien.
Die Funde beinhalteten die größte Schale, über die jemals von einer heute lebenden oder ausgestorbenen Schildkröte berichtet wurde. Mit einem Carapax von 2,40 m Länge und mit einem geschätzten Gewicht von 1145 kg hatte die Schildkröte fast die 100fache Größe ihrer engsten heute lebenden Verwandten.
“Der Panzer einiger Individuen von Stupendemys geographicus erreichte fast 3 Meter, was sie zu einer der größten, wenn nicht der größten Schildkröte macht, die jemals existierte,” so Dr. Sánchez.
An einigen Exemplaren bemerkten die Forscher ein eigenartiges unerwartetes Merkmal: Hörner.
“Die zwei verschiedenen Schalentypen indizieren, dass zwei Geschlechter von Stupendemys geographicus existierten: männliche Tiere mit gehörnten Schalen und weibliche Tiere mit hornlosen Panzern,” sagte Dr. Sánchez.
“Dies ist das erste Mal, dass Sexualdimorphismus in Form von gehörnten Schalen für irgendeine Art von Halswenderschildkröten, einer der zwei weltweiten Hauptgruppen von Schildkröten, berichtet wurde.”
Die Wissenschaftler konnten darüber hinaus die evolutionäre Verwandtschaft dieser Art innerhalb des Schildkrötenstammbaums überarbeiten.
“Basierend auf Studien zur Schildkrötenanatomie wissen wir, dass einige der in der Amazonasregion lebende Schildkröten die engsten Verwandten sind,” so Dr. Sánchez.
“Darüber hinaus weisen neue Entdeckungen und die Untersuchungen an Fossilien aus Brasilien, Kolumbien und Venezuela auf eine viel weitere Verbreitung von Stupendemys geographicus hin als vorher vermutet. Das Tier lebte im gesamten Nordteil von Südamerika.”
“Trotz ihrer gewaltigen Größe hatte die Schildkröte natürliche Feinde,” fügen die Autoren hinzu.
“In vielen Gebieten trifft die Verbreitung von Stupendemys geographicus mit der von Purussaurus, dem größten Kaiman, zusammen.”
“Dieser war höchstwahrscheinlich ein Jäger der Riesenschildkröte, nicht nur aufgrund seiner Größe und seiner wahrscheinlichen Fressvorlieben vermutet, sondern auch gefolgert aus Bissmarken und durchstochenen Knochen an fossilen Panzern von Stupendemys geographicus.”
Die Forschungsarbeit wurde in einer Arbeit im Journal Science Advances beschrieben.
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E.-A. Cadena et al. 2020. The anatomy, paleobiology, and evolutionary relationships of the largest extinct side-necked turtle. Science Advances 6 (7): eaay4593; doi: 10.1126/sciadv.aay4593