Seitdem im 19. Jahrhundert an einigen europäischen Fundorten sehr große Knochenfossilien aus der Trias-Epoche gefunden worden waren, wurde über ihre Zugehörigkeit zu Tiergruppen gerätselt. Man sah in ihnen Überbleibsel von Dinosauriern oder großen vorzeitlichen Amphibien, einige Forscher zogen aber auch schon Fischsaurier (Ichthyosaurier) in Betracht. Die letzt genannte Hypothese scheint sich nun durch eine Studie von Paläontologen der Rheinischen Friedrich-Wihelms-Universität in Bonn und ihren Kollegen des Natural History Museum in Los Angeles zu bestätigen.
Die Wissenschaftler untersuchten lange und abgerundete fossile Knochen aus Nordrhein-Westfalen, Großbritannien und der Provence, die bisher nicht eindeutig einer Tiergruppe zugeordnet werden konnten. Alle stammen aus triassischen Lagerstätten der späten Trias (Rhaetium)vor ca. 203 Mio. Jahren.
Schon im Jahre 1850 hatte der britische Naturforscher Samuel Stutchbury über den Fund eines großen zylindrischen Knochenfragments vom Aust Cliff nahe Bristol berichtet. Stutchbury hielt den Knochen für den eines Labyrinthodonten, eines ausgestorbenen krokodilähnlichen Landlebewesens.
Seitdem wurden ähnliche Stücke u.a. in der südfranzösischen Provence, aber auch bei Bonenburg im Landkreis Höxter (Nordrhein-Westfalen) entdeckt. In der späten Trias, aus der die die Knochen beherbergenden Sedimente abgelagert wurden, waren alle diese Gebiete von Meer bedeckt. Fossil überliefert sind dort marine Lebewesen ebenso wie Lebensformen aus dem Küstenbereich. Eine marine Herkunft der Knochen erscheint daher nicht unwahrscheinlich.
Manche Forscher tippten eher auf Langhalsdinosaurier, Stegosaurier oder auch bisher unbekannte Dinosauriergattungen.
Marcello Perillo, Paläontologe an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, erinnert daran, dass manche Wissenschaftler schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts, bemerkten, dass es sich um Ichthyosaurierfossilien handeln könnte. Die entsprechenden Tiere hätten allerdings extrem groß gewesen sein müssen.
In ihrer Studie führten Marcello Perillo und Prof. Martin Sander, ebenfalls von der Bonner Universität, an Stücken aus Südwestengland, Frankreich und Bonenburg Analysen an der Mikrostruktur der fossilen Knochengewebe durch. Knochen ähnlicher Spezies haben einen ähnlichen Aufbau, sodass über das Knochengewebe auf die zugehörigen Tiergruppen geschlossen werden kann. Alle untersuchten Knochenwände zeigten eine ähnlich auffällige Struktur mit langen mineralisierten Kollagenfasern, die in einer charakteristischen Weise verwoben waren. Diese Textur war von anderen Knochenarten unbekannt, außer in ähnlicher Art von großen Ichthyosauriern aus Kanada. Prof. Sander und sein Kollege Perillo gehen daher davon aus, dass die besagten untersuchten Knochenfragmente zu einem Ichthyosaurier gehören, und nicht zu landlebenden Dinosauriern. Nach Meinung von Marcello Perillo stammen die Knochen vom Unterkiefer eines triassischen Ichthyosauriers. Durch Vergleich mit Kiefern vergleichbarer Exemplare dieser vorzeitlichen Tiergruppe läßt sich auf eine Länge der Tiere von 25 bis 30 m schließen. Diese Schätzungen sind allerdings sehr unsicher. Sollte dies jedoch stimmen, würde es bedeuten, dass Ichthyosaurier in etwa die Größe heutiger großer Wale erreicht hätten. Auf jeden Fall erreichten sie zum Ende der Trias überdurchschnittliche Größen, bevor die meisten Ichthyosaurierarten zum Ende der Trias ausstarben. Die ungewöhnliche Struktur ihrer Knochen, die an den Aufbau moderner Karbonfasermaterialien erinnert, half womöglich dabei, die für die Größe notwendige Festigkeit der Knochen bei schnellem Wachstum zu erreichen. Die Scherkräfte in solch großen Kieferapparaten dürften schon bei normalem Fressvorgang enorm gewesen sein. Nach Einschätzung der Wissenschaftler könnte die Schnauze auch zum Rammen von Beutetieren gedient haben. Aber dies ist bisher reine Spekulation.
Die Ergebnisse der Studie wurden im Jounal PeerJ. veröffentlicht.
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- Perillo & P.M. Sander. 2024. The dinosaurs that weren’t: osteohistology supports giant ichthyosaur affinity of enigmatic large bone segments from the European Rhaetian. PeerJ 12: e17060; doi: 10.7717/peerj.17060