Auf Madagaskar wurde das fossile Skelett eines urtümlichen Säugers entdeckt, das eine komplett neue Spezies vom alten Superkontinent Gondwana repräsentiert.
Bei diesem nicht alltägliche Fund könnte es sich um die älteste Säugetierart der südlichen Halbkugel handeln.
Die Forscher, die das Fossil entdeckten, tauften die Art sowie die ganze neue Gattung in ihrer Studie auf den Namen Adalatherium hui – zu deutsch: „verrücktes Biest“. Die Kreatur war ungefähr katzengroß. Zeitlich ist sie in die Zeit des Maastrichtium der Oberkreide einzuordnen, ca. 72 bis 66 Mio. Jahre vor heute. Adalatherium hui gehört somit an das äußerste Ende des Mesozoikums. Von den geheimnisvollen mesozoischen Säugern der Südhalbkugel, bekannt unter dem Namen Gondwanatherien, ist aufgrund ihrer spärlichen fossilen Überlieferung wenig bekannt.
Bis jetzt wurden von der gesamten Gruppe nicht mehr als ein Schädel (ebenfalls aus Madagaskar) und ein paar einzelne Zähne bzw. Kieferteile gefunden.
Aus diesem Grund handelt es sich bei diesem faszinierenden Fund nicht nur um ein extrem gut erhaltenes und weitgehend komplettes Skelett einer Art, sondern auch um das vollständigste gondwanische mesozoische Säugetier überhaupt, das je gefunden wurde. Es könnte das älteste Säugetier sein, das jemals auf der südlichen Hemisphere entdeckt wurde.
“Wir konnten nie glauben, dass wir solch ein außergewöhnliches Fossil dieses mysteriösen Säugers finden würden“, meint der Evolutionsmorphologe Alistair Evans von der Monash University in Melbourne, Mitglied der Forschergruppe.
“Dies ist der reale Einblick in ein damals neuartiges Experiment in der Evolution der Säugetiere.”
Adalatherium hui repräsentiert ein Experiment in Hinblick auf die ungewöhnlichen isolierten Umstände seiner Evolution. Der altertümliche Superkontinent Gondwana begann vor ca. 180 Mio. Jahren zu zerbrechen, um letztendlich die Teile Australien, Afrika, Antarktika, Madagaskar, Südamerika und Indien zu hinterlassen.
Inmitten dieser epischen Zerstückelung hing der Teil, der heute Madagaskar bildet, für weitere ca. 90 Mio. Jahre an dem indischen Subkontinent, bevor er vor ca. 88 Mio. Jahren abbrach und bis heute als separate Insel übrig blieb.
Angesichts der Tatsache, dass das neu entdeckte Individuum von A. hui ungefähr 20 Mio. Jahre später lebte, heißt das, dass seine Art sich innerhalb von 10-20 Mio. Jahren in einer Inselisolation entwickelte. Solche Umweltkonditionen sind dafür bekannt, merkwürdige evolutionäre Entwicklungen im Vergleich zu den sich auf dem Festland entwickelnden Arten zu fördern.
“Inselwelten fördern evolutionäre Verläufe innerhalb der Klasse der Säugetiere und anderer Wirbeltiere, die mit jenen auf den Kontinenten kontrastieren und in nachweisbaren anatomischen, physiologischen und Verhaltensunterschieden resultieren,” schreiben die Autoren in ihrer Studie.
“Diese Unterschiede waren vorher deutlich ausgeprägten Selektionsursachen zugeschrieben worden, die Faktoren wie limitierten Ressourcen, verringerte innerartliche Konkurrenz, Mangel an Prädatoren und Parasiten einschließen.”
Welche Faktoren exakt die „Verdrehtheit“ des „verrückten Biests“ verursachten, ist nicht ganz klar, aber eine 20 Jahre andauernde Analyse der Überreste (das Fossil wurde 1999 zuerst entdeckt) zeigt, dass es in der Tat eine seltsame Kreatur war.
“Mit dem Wissen, das wir über die Skelettanatomie aller lebenden und ausgestorbenen Säugetiere haben, ist es schwer, sich vorzustellen, dass ein Säuger wie Adalatherium sich überhaupt entwickeln konnte,” sagt der Wirbeltierpaläontologe David Krause vom Denver Museum of Nature & Science in Colorado / USA, Mitglied der Feldexpedition auf Madagaskar im Jahre 1999.
“Es beugt eine Menge von Regeln und bricht sie sogar.”
Merkwürdig sind die primitiven Septomaxillen– Knochen in der Schnauzenregion- ein Merkmal, das schon 100 Mio. Jahre früher bei den Vorfahren der lebenden modernen Säugetiere verschwand.
Sein Schädel hatte mehr Öffnungen (sogenannte Foramina) als jedes bekannte Säugetier. Diese könnten als Durchlässe für Blutgefäße und Nerven durch den Schädel die Sensitivität seiner Schnauze und Tasthaare verbessert haben.
Auch wenn es sich aufgrund seiner physischen Entwicklung bei diesem Individuum vermutlich um ein nicht voll entwickeltes Tier handelte, war es mit einer geschätzten Körpermasse von 3,1 kg trotzdem sehr groß – zumindest für ein Säugetier jener Zeit. Allerdings könnte man dies einer Art von Gigantismus aufgrund isolierter Evolution zuschreiben.
Das Tier hatte seltsam gebogene Beinknochen, wobei unklar ist, ob diese zum Graben, Laufen oder für eine andere Art der Fortbewegung benötigt wurden.
Weitere Beachtung verdienen seine Zähne: “Die Fremdheit dieses Tieres zeigt sich klar in den Zähnen. Sie sind rückschrittlich in Bezug auf alle anderen Säuger und müssen direkt von einem fernen Vorfahren abstammen,” meint Evans.
Während immer noch so viele Fragen zum Ende von Adalatherium hui existieren, ist klar, dass dieser großartige Fund wesentlich zum Verständnis der Gondwanatherien beiträgt. Nie zuvor wurde ein solch komplettes und gut erhaltenes Exemplar aus dieser lange ausgestorbenen Gruppe entdeckt.
“Adalatherium ist nur ein Teil, aber ein wichtiges Teil in einem sehr großen Puzzle zur Evolution der frühen Säugetierevolution auf der südlichen Hemisphäre,” sagt Krause.
“Unglücklicherweise werden die meisten Teile immer noch vermisst.“
Die Erkenntnisse wurden im Journal Nature veröffentlicht.