Wissenschaftler aus USA, dem Vereinigten Königreich, Kanada und Schweden haben das Genom eines ca. 100.000 Jahre alten Polarbärenschädels analysiert. Aus der Analyse geht hervor, dass es eine Vermischung der Genome von Eisbären (Ursus maritimus) und Braunbären (Ursus arctos) gab.
Der Schädel war 2009 in der Nähe von Point McLeod gefunden worden, an den Gestaden der Beaufortsee in Alaska. Man gab dem Fundstück den Spitznamen „Bruno“. Nach der Analyse der DNA stellte sich allerdings heraus, dass es sich in diesem Fall um ein weibliches Tier handelte.
Zu dessen Lebzeiten zwischen 110.000 und 70.000 Jahren vor heute befand sich die Erde in einer Warmzeit, und der Meeresspiegel an der Fundstelle war ca. 10 m höher als heute.
Laut Ming-Shang Wang, dem Hauptautor der gemeinsamen Studie, , führte die DNA-Analyse zur Entdeckung einer genetischen Vermischung, die alle heute lebenden Braunbären betrifft. Ming-Shang Wang ist Postdoktorand am UCSC Paleogenomics Lab der University of California (UC) in Santa Cruz, Kalifornien.
Wie die Co-Autorin Beth Shapiro, Professorin für Ökologie und Evolutionsbiologie am UC, erklärt, gehörte „Bruno“ zu einer Population von Vorfahren heutiger Eisbären.
Wahrscheinlich vor ca. 125.000 Jahren kam es zu einer Kreuzung zwischen der Eisbärenlinie, die zu Bruno führte und der Linie von Braunbären, von der alle heutigen Braunbären abstammen.
Durch diese „Gen- Beimischung“ stammen bis zu 10% aller Gene heutiger Braunbären von vorzeitlichen Eisbären. Beth Shapiro dazu: „Ohne Brunos Genom hätten wir das nie gesehen, weil alle lebenden Braunbären diese Beimischung als Teil ihres Genoms haben“.
Frühere Untersuchungen an alter DNA hatten gezeigt, dass vor 15.000 bis 25.000 Jahren mindestens viermal eine Genbeimischung von Eisbären in Richtung Braunbären stattgefunden hat.
Die neue Studie ergab auch Hinweise auf möglichen Genfluss von Braunbären-DNA in Richtung Brunos Linie hinein. Allerdings findet man keine Braunbär-Genbeimengungen in heutigen Eisbären. Das unterstützt die These, dass Braunbärengene die Überlebensfähigkeit bzw. Fitness von Eisbären in deren typischer Lebensweise eher einschränkten und daher einen Evolutionsnachteil darstellten.
Vor ca. 500.000 Jahren teilten sich die Entwicklungsgeschichten von Eis- und Braunbär. Während sich der Braunbär als Allesfresser eher weiträumig in kalten und gemäßigten Gefilden ausbreitete, entwickelte sich der Eisbär zu einem reinen Fleisch- und Aasfresser mit Vorliebe für Meeressäuger. Sein Verbreitungsgebiet liegt ausschließlich in der Arktis.
Die enge Verwandtschaft von Braun- und Eisbär erklärt die auch in heutiger Zeit relative Häufigkeit von Hybriden an Orten mit sich überschneidenden Verbreitungsgebieten.
Nach Meinung von Beth Shapiro ist aufgrund des herrschenden Klimawandels für die Zukunft vermehrt mit solchen Arealen zu rechnen, und daher wohl auch mit einem häufigeren Auftreten solcher Bärhybriden.
Die Studie erschien im Journal Nature Ecology & Evolution.
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MS. Wang et al. A polar bear paleogenome reveals extensive ancient gene flow from polar bears into brown bears. Nat Ecol Evol, published online June 16, 2022; doi: 10.1038/s41559-022-01753-8